Son de mar
(Son de mar)
Spanien 2001, 95 Minuten
Regie: J. J. Bigas Luna

Drehbuch: Rafael Azcona, nach einem Roman von Manuel Vicent
Musik: Glen Johnson
Director of Photography: José Luis Alcaine
Montage: Ernesto Blasi
Produktionsdesign: Pierre-Louis Thèvenet, Reyes Abades

Darsteller: Jordi Mollà (Ulises), Leonor Watling (Martina), Eduard Fernández (Sierra), Sergio Caballero (Xavier), Neus Agulló (Roseta), Pep Cortés (Basilio), Juan Muñoz (Institutsleiter), Ricky Colomer (Abel), Pablo Rivero (Jorgito), Carla Collado (Frau in Rot)

Ein kitschiger Sturm im Wasserglas

„‘Son de mar’ ist die Geschichte eines Sturmes, einer dieser stürmischen Leidenschaften, die wir alle suchen – aber wenn man eine findet, dann sollte man besser eine Rettungsweste tragen“, schreibt Regisseur Bigas Luna über seinen Film. Die Rettungsweste ist allerdings angebracht, wenn man nach eineinhalb Stunden diesen Sturm im Wasserglas überstanden hat. Denn „Son de mar“ ist eines jener Beispiele des Mainstream-Kinos für die mediterran-erleuchtete Mittelklasse, in dem die Bilder nichts weiter zu leisten haben, als zu betrügen. Rosamunde Pilcher lässt grüßen. Und mal unter uns gesagt: Ich ziehe jede filmische Adaption eines Romans von Hedwig Courths-Mahler einem solchen Betrug vor.

Zieht man Bigas Lunas aufgesetzte mediterrane Middle-Class-Ideologie ab, verbleibt eine belanglose bis unglaubwürdige Dreiecksgeschichte. Ein langhaariger, mit Dreitagebart und hellblauen Augen versehener, selbstverständlich gut aussehender Literaturlehrer, Ulises (Jordi Mollà) kommt in eine kleine spanische Küstenstadt und verliebt sich in seiner Unterkunft in die ebenso gut aussehende Martina (Leonor Watling, zuletzt hervorragend in Pedro Almodóvars „Sprich mit ihr“ als Alicia). Schon die Inszenierung der ersten Begegnung zwischen beiden offenbart die aufdringliche und aufgesetzte Art, mit der Bigas Luna noch dem letzten Kinogänger die sich anbahnende stürmische Leidenschaft in die Augen brennt und ihre bedeutungsschwangere Liebe um die Ohren haut: Ulises, gerade beim Essen im Garten seines Hotels, sieht, wie Martina Wäsche aufhängt: ein tropfendes Höschen auf der Leine und die Wäscheklammer im halboffenen Mund – was könnte das wohl bedeuten?

Beider Leidenschaft ist so stürmisch, das uns der Regisseur nicht nur einmal, sondern immer wieder die schönen, reinen, unschuldigen nackten Körper der beiden gut gebauten Schauspieler präsentiert. Martina, den Kopf weit nach hinten gebeugt, mit offenem Mund, stöhnend. Ulises bringt es sogar fertig – so lassen jedenfalls die Bilder vermuten –, seine Martina nur mit Worten zum Orgasmus zu bringen. Und diese Worte werden dem Publikum nicht einmal, nicht zweimal, sondern bestimmt ein gutes Dutzend Mal um die Ohren gehauen. Zitate aus Vergils Aeneis („Da gleitet von Tenedos her durch ruhige Wogen – jetzt noch fasst mich Entsetzen - in riesigen Bogen ein Paar von Schlangen im Meer dahin und strebt gemeinsam zum Strande. Steil auf recken sie zwischen den Fluten die Brust, ihre Kämme glühn blutrot aus Wogen empor. Der übrige Teil streift hinten das Meer und wirft zu gewaltiger Windung den Rücken“) [1] und andere literarische Kostbarkeiten geraten hier zu verflachten Versatzstücken eines ebenso verflachten Betrugs. Sätze wie „Deine Brüste sind wie das Meer“ und „Halte dich am Augenblick fest, denke nicht an morgen“ sollen offenbar irgendeine inhaltliche Tiefe ersetzen.

Schnell ist Martina schwanger, Heirat, sie bekommt beider Sohn Abel (Ricky Colomer), und ich warte darauf, dass nun vielleicht etwas wesentliches, wirklich Bedeutendes passiert. Nun, Ulises verschwindet. Er fährt mit seinem gerade erworbenen Fischerboot hinaus, um Martina einen prachtvollen Fisch als Zeichen seiner Liebe zu fangen, und kehrt nach einem Sturm nicht zurück. Man erklärt ihn für tot, nachdem man sein Boot zerschellt an einer Klippe gefunden hat. Jetzt geht alles furchtbar schnell: Martina heiratet erneut, den skrupellosen Bauunternehmer Sierra (Eduard Fernández), der ihr schon vor dem Auftauchen von Ulises nachgestellt hat, den sie nicht liebt und der wohl das Gegenstück zu Ulises darstellen soll: rasiert, kürzere gepflegte Haare, machtbesessen.

Warum Martina diesen Mann heiratet, bleibt ein Geheimnis des Regisseurs. Um versorgt zu sein? Weil auch sie zwischen leidenschaftlicher Liebe (Ulises) und einem Leben in Saus und Braus (Sierra) hin- und her schwankt? Weil sie einen Vater für Abel will? Man lasse seiner Phantasie freien Lauf (oder vielleicht besser nicht?). Jedenfalls, wie das Schicksal es will (bzw. der Regisseur), Ulises taucht wieder auf – nach fünf Jahren. Nachdem sein Boot gekentert war, hatte ihn eine Schönheit, die er auf einem Fest von Sierra kennen gelernt hatte, unter ihre Fittiche, d.h. zunächst auf ihre Yacht, genommen. Danach streifte er durch die Weltmeere. Warum um alles in der Welt, ist dieser Mann abgehauen? Auch hier weicht Bigas Luna den in solchen Situationen entstehenden inneren Konflikte aus.

Damn and blast, Mr. Luna!

Dieser Ulises hat einen interessanten Job, ist leidenschaftlich verliebt – und dann kriegt er das Muffensausen, oder was? OK. Aber wo ist die Darstellung dieses Konflikts!! Unnötig, tönt der Regisseur, daran ist er nicht interessiert.

Martina ist hin und weg. Beide treffen sich heimlich. Sie verschweigt Sierra Ulises Wiederauftauchen. Sie sperrt Ulises in irgendein Penthouse eines nicht fertig gebauten Hochhauses. Sie führt ein offizielles Leben mit Sierra und ein inoffizielles mit Ulises (wieder die schönen Körper, wieder die schon zitierten Sätze beim Sex, wieder die Orgasmen, die nackten Körper etc. pp.). Sierra kommt hinter die Geschichte und präpariert die „Son de Mar“, eine Yacht, auf der Martina Ulises später versteckt, weil er vom Penthouses die Schnauze voll hat, so dass diese Yacht beim Auslaufen absäuft – und mit ihr Ulises und Martina.

Die Schlussszene des Films ist der „grandiose“ Abschluss eines filmischen Desasters, das man wirklich meiden sollte: Die nackten, bleichen Leichen der Liebenden liegen im Leichenschauhaus aufgebahrt. Sie öffnen die Augen, umarmen sich („Deine Brüste sind wie das Meer“ – Hilfe!!!), die Liebe geht über den Tod hinaus – und ich bin froh, das Kino endlich verlassen zu können.

Selten habe ich in einem Film einen derart „intellektuell“ aufgeblasenen Kitsch zu Gesicht bekommen, der dazu an einigen Stellen noch unfreiwillig komisch wirkt. Das ist nicht der „Frau im Bild“-Kitsch, das ist der Kitsch für Herrn Dr. Maier samt Frau Maier-Meyer in ihrer Klein-Villa im grün angehauchten Milieu, wenn sie abends vor dem Kaminfeuer mediterrane Illusionen pflegen. Einfach nur scheußlich.

Jordi Mollà, Leonor Watling und Eduard Fernández tun ihr bestes. Aber was nutzt dies bei einem solchen Film?

[1] Das Zitat stammt aus dem Kapitel über Laokoons Tod und lautet vollständig: „Da! Da gleitet von Tenedos her durch ruhige Wogen – jetzt noch fasst mich Entsetzen - in riesigen Bogen ein Paar von Schlangen im Meer dahin und strebt gemeinsam zum Strande. Steil auf recken sie zwischen den Fluten die Brust, ihre Kämme glühn blutrot aus Wogen empor. Der übrige Teil streift hinten das Meer und wirft zu gewaltiger Windung den Rücken. Schaurig schäumt das Wasser der See; schon gingen an Land sie, brennend starrten die Augen, von Blut unterlaufen und Feuer, und schon leckten sie zischend ihr Maul mit zuckenden Zungen: Bleich vom Anblick fliehn wir hinweg; sie streben in sichrem Zug auf Laokoon zu: sofort um die Leiber, die jungen, beider Söhne schlingen nun beide Schlangen die grause Windung, weiden den Biss an den armen, elenden Gliedern. Dann ergreifen den Vater sie auch, der mit Waffen zu Hilfe her stürmt, schnüren ihn ein in Riesenwindungen, und schon zweimal die Mitte umschlungen und zweimal die schuppigen Rücken um seinen Hals, überragen sie hoch ihn mit Haupt und Nacken. Jener bemüht mit den Händen sich hart, zu zerreißen die Knoten, schwarz übergossen von Geifer und Gift an den heiligen Binden, furchtbar zugleich tönt klagend sein Schrei hinauf zu den Sternen. So brüllt auf der Stier, der wund vom Altare geflüchtet und das Beil, das unsicher traf, geschüttelt vom Nacken. Aber zum Tempel hoch droben entfliehn schnell gleitend die beiden Schlangen und streben hinauf zur Burg der grausen Tritonis, bergen zu Füßen der Göttin im Rund sich unten des Schildes. Da drang allen erst recht durch bebende Herzen ein neuer Stoß des Entsetzens; sie sagen, Laokoon habe mit Recht jetzt sein Verbrechen gebüßt: er verletzte das heilige Holz doch mit seinem Spieß und stieß in den Rücken die ruchlose Lanze. Alle schreien, man müsse das Bild zum Wohnsitz der Göttin ziehn, zur Waltenden beten.“ (Quelle: Vergil, Aeneis 2, 201-267, Tod des Laokoon).