Sonnenallee
(US-Titel: Sun Alley)
Deutschland 1999, 101 Minuten
Regie: Leander Haußmann

Drehbuch: Detlev Buck, Leander Haußmann, nach dem Roman von Thomas Brussig „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“
Musik: Stephen Keusch, Paul Lemp
Director of Photography: Peter Krause
Montage: Sandy Saffeels
Produktionsdesign: Lothar Holler

Darsteller: Alexander Scheer (Michael „Micha“ Ehrenreich), Alexander Beyer (Mario), Robert Stadlober (Wuschel), Teresa Weißbach (Miriam Sommer), Katharina Thalbach (Mutter Ehrenreich), Henry Hübchen (Vater Ehrenreich), Elena Meißner (Sabrina), Detlev Buck (ABV, Abschnittsbevollmächtigter), David Müller (Brötchen), Martin Moeller (Kosscke), Patrick Güldenberg (Appel), Annika Kuhl (Sabine), Ignaz Kirchner (Onkel Heinz), Benno Frevert (Miriams Bruder), Andreas Pletschmann (Scheich von Berlin), Margit Carstensen (Direktorin), Horst Lebinsky (Grenzer), Traute Höss (Mririams Mutter), Winfried Glatzeder (Miriams Nachbar), Ezard Haußmann (Mann bei Direktorin), Leander Haußmann (Betrunkener)

Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola

Ich erinnere mich noch ganz gut an meine pubertäre Protestphase, als wir am Gymnasium – schon einige Zeit nach den „Studentenunruhen“ Ende der 60er Jahre – einen Streik organisierten, weil wir irgendwie und irgendwo unzufrieden waren. Die Lehrer kotzten uns alle an, vor allem ein Physiklehrer, der in seinem Unterricht besonders gern von seiner Zeit in der Wehrmacht berichtete – eben ein Mann alter Schule, und wir wollten irgendwie, ohne genau sagen zu können „wie“, eine neue Schule. Viele aus dieser Zeit der 70er Jahre – oder auch später –, die damals ihren Unmut herauslassen wollten, werden solche Erfahrungen erinnern. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, hieß es da. Und der Muff unter den Röcken unserer Pauker war deutlich zu riechen. Aus diesem Stoff wurden u.a. auch Filme gezaubert, mit Hansi Kraus etwa „Hurra, hurra, die Schule brennt“, nicht gerade Fundamentalkritiken an einer bitter notwendigen Reform des Unterrichtswesens.

„Die Partei ist die Vorhaut der Arbeiterklasse“, schreibt da ein Schüler namens Michael Ehrenreich (Alexander Scheer), DDR-Bürger irgendwann in den 70er Jahren, an die Tafel, und verunglimpft aufs Schändlichste die „Bordei“, wie im sächsischen Dialekt die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands auf stramme Kurzform gebracht wurde. Er will etwas erreichen; er spekuliert mit Bestrafung, sprich: einem oktroyierten selbstkritischen Referat, das er vor der FDJ-Versammlung halten muss, einzig zu dem Zweck, seine angebetete Miriam (Teresa Weißbach), blond, jung, schön, sexy, von allen jüngeren und auch älteren Männern begehrt, näher zu kommen, die auch dorthin verdonnert wurde. In solchen Momenten ist Leander Haußmanns „Sonnenallee“ nach dem Roman von Thomas Brussig fühlbar und nachvollziehbar, das heißt dann, wenn es um die Bedürfnisse Jugendlicher, hier in der Sonnenallee in Berlin, die in Ost und West durch die berühmte Mauer geteilt ist, geht, um deren Träume, die sich kaum von denen jenseits des „antifaschistischen Schutzwalls“ unterscheiden. Ein anderer, Wuschel (Robert Stadlober) träumt von einer „West-Platte“, einer LP von den Stones, die aber auf dem Schwarzmarkt so teuer ist, das er sie sich nicht leisten kann. Und Mutter Ehrenreich (Katharina Thalbach), die irgendwo einen BRD-Pass gefunden hat, träumt vom „Rübermachen“, tauscht ihr Bild gegen das Passbild, und als sie dann die Westsektoren betreten könnte, macht sie kehrt, geht nach Hause und verführt ihren Mann (Henry Hübchen).

Das war’s aber auch schon mit „Sonnenallee“. Denn alles andere im Film ist nicht mehr und nicht weniger als eine Mischung aus Reproduktion von Versatzstücken und sorgsam gepflegten Klischees über Ossis und Partei, Wessis und vermeintliche oder tatsächliche Ossi-Träume und einer manchmal penetranten, zuweilen komischen, meist aber gequält „lustigen“ bis albernen Nabelschau über „das Wesen“ Jugendlicher aus der DDR, verpackt in Popkultur oder das, was die Macher des Films dafür halten.

Eine Geschichte erzählt Haußmann sowieso nicht. Er begnügt sich mit Geschichtchen, Episoden, getragen lediglich von dem den Film umspannenden Wunsch Michas, mit Miriam zu schlafen. Haußmann erzählt nicht, er zeigt meist isolierte Bruchstücke, wie Micha seine Biografie umschreibt, weil er gegenüber Miriam behauptet, er habe Tagebücher geschrieben. So schreibt er sie jetzt nach. In einer anderen Szene nimmt Micha an einer wilden Party teil, schluckt Drogen. Sein Freund Mario (Alexander Beyer) lernt Sabrina (Elena Meißner) kennen, die vom Existentialismus Sartres entzückt ist. Später wird er Stasi-Spitzel. Michas Onkel Heinz (Ignaz Kirchner) schmuggelt aus dem Westen Kleinigkeiten und verbreitet „typische“ Wessi-Watschen für den sozialistischen Einheitsstaat – und so weiter und so fort.

Eine „Hippie-Republik“ im Kleinen also und eine Dramaturgie, die es schwer hat mit der Komik und die andererseits alles so wahnsinnig ernst und dann wieder so wahnsinnig heiter nimmt, über die Maßen tragisch und oder eben über die Maßen kritisch, in der Effekte, noch dazu meist der billigeren Art, die Oberhand gewonnen haben – das ist „Sonnenallee“, eine Art halbgarer Nabelschau auf die eigene Vergangenheit, eine poppige Variante von Sein und Schein des Lebens in der Hauptstadt der DDR – zwischen Geschichtsklischee, „Hurra, hurra, die Schule brennt“ Marke Ost und nervigem Getöse.

Am schlimmsten, dümmsten und der Realität am wenigsten nahe aber kommen die Exponenten des Arbeiter- und Bauernstaates weg. Der „Abschnittsbevollmächtigte“ und Polizist, gespielt von Detlev Buck, ist eine – um es gelinde auszudrücken – schlechte und klischeebeladene Karikatur (also keine) auf „den“ Vopo, eine Dämlichkeit, produziert im Studio. Auch von den Grenzsoldaten und Parteigenossen hört und sieht man nicht viel mehr als altbacken Bekanntes, ohne Bedeutung, Neues oder gar Humorvolles. Das gilt ebenso für Margit Carstensens Schuldirektorin.

Wer in dieser aus fein säuberlich gezimmertem Studiolook in Szene gesetzten Sonnenallee noch Schein und Sein auseinander halten kann, bekommt die Erich-Honecker-Gedenkmedaille. Nabelschauen haben es so an sich, dass zumeist nur die Träger besagter Nabel wissen, was läuft. Hinzu kommen lächerliche Albereien wie eine Szene, in der Papa ein Telefon besorgt hat und mit Onkel dumm grinsend durch das Wohnzimmer hüpft, um Mama zu überraschen. Kaum zu unterbieten, wobei Katharina Thalbach und Henry Hübchen noch zu den besseren Schauspielern gehören.

Die künstliche, zumeist verkünstelte Darstellung des Alltags in der DDR macht nichts sichtbar, sondern beweist einmal mehr, wie schwer es Deutsche in West wie Ost offenbar immer noch haben, ernsthaft und / oder komisch zu sein, sprich Geschichten wirklich zu erzählen. Statt dessen versprechen sie: „Ich wollte irgend etwas haben, was so kultig ist wie der Tanz in ‘Pulp Fiction’. Mit den Jungs sind wir vor dem Dreh eine Woche weggefahren und haben geübt“, sprach Regisseur Haußmann. Geübt? Was? Locker zu sein? Poppig zu sein? Komisch zu sein? Genau hier liegt das Problem. „Sonnenallee“ übt sich im Lockersein, ist es aber nicht.