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The Isle (Seom) Korea 2000, 82 Minuten (Original mit dt. Untertiteln) Regie: Ki-duk Kim
Drehbuch: Ki-duk Kim Musik: Sang Yoonjeon Director of Photography: Suh Shikwhang Montage: Min-ho Kyung Produktionsdesign: Ki-duk Kim
Darsteller: Suh Jung (Hee-Jin), Yoosuk Kim (Hyun-Shik), Sung-hee Park (Eun-A), Jae Hyun Cho (Mang-Chee), Hang-Seon Jang (Mann mittleren Alters)
Wunsch – Enttäuschung – Gewalt ...
Ein abgelegener See, Nebelschwaden liegen über den auf Pontons gebauten Hausbooten. In der kleinen Bucht am Rande des Sees lebt die junge Hee-Jin (Suh Jung). Sie vermietet die Hausboote an Angler, versorgt sie mit Lebensmitteln, Ködern und Prostituierten. Hee-Jin selbst verkauft sich nachts an die Männer aus der Stadt.
Hyun-Shik (Yoosuk Kim) ist auf der Flucht vor der Polizei. Er hat seine Frau und deren Liebhaber ermordet. Er mietet ein Hausboot. Hee-Jin beobachtet Hyun-Shik; er ist anders als die anderen Männer, in sich gekehrt, zurückhaltend, geheimnisvoll, eher so wie sie. Sie beobachtet ihn. Als er sich eines Nachts erschießen will, taucht Hee-Jin unter das Hausboot und bringt ihm eine tiefe Wunde im Bein bei. Hyun-Shik ist zutiefst erschrocken und lässt von seinem Vorhaben ab, sieht noch, wie Hee-Jin mit dem Boot zum Steg zurückfährt.
Hyun-Shik versucht, wieder an das Leben zu denken. Er angelt, lässt die Fische aber wieder frei. Er baut aus Draht kleine Kunstwerke, u.a. eine Schaukel, die er Hee-Jin schenkt. Als Hee-Jin zu ihm auf das Hausboot kommt, sich neben ihn setzt, nähern sich beide. Doch Hyun-Shik fällt über sie her, ohne Zärtlichkeit. Hee-Jin flieht, schickt ihm eine Prostituierte, mit der er allerdings nicht schläft und gerade dadurch deren Interesse weckt. Beim nächsten Treffen schlafen beide miteinander, beobachtet von Hee-Jin, in rasender Eifersucht, denn sie hat ihm die Prostituierte nur geschickt, damit er sich sexuell abreagieren konnte, nicht, damit er sich in sie verliebt. Hee-Jin beißt ihm in die Zunge, er blutet.
Kurz darauf taucht die Polizei auf. Hyun-Shik bekommt es mit der Angst zu tun. Als jedoch ein anderer Hausbootmieter plötzlich flieht, ergreift er die Gelegenheit, um seinem Leben vor dem Zugriff ein Ende zu setzen: Er schluckt mehrere kleine Angelhaken an der Leine, zieht daran, um sich selbst zu zerfleischen. Hee-Jin versteckt ihn, damit die Polizei ihn nicht findet, unterhalb einer Öffnung im Hausboot im Wasser. Als die Polizisten abgerückt sind, zieht sie ihm vorsichtig die Haken heraus. Und während Hyun-Shik noch schwer verletzt im Hausboot liegt, schläft sie mit ihm. Sie pflegt ihn gesund, beide verleben ein paar glückliche Tage – bis die Prostituierte wieder auftaucht.
Hee-Jin fesselt und knebelt sie, schafft sie in ein Hausboot und bringt sie weit weg an eine abgelegene Stelle des Sees. Beim Versuch sich zu befreien, ertrinkt die Prostituierte ...
„Seom“ wurde hauptsächlich in Korea scharf kritisiert – vor allem von Feministinnen, die Ki-duk Kims Frauenbild als patriarchalisch einstufen. Ki-duk Kim selbst interessiert sich nach eigenen Worten jedoch abseits von Geschlechterrollen ausschließlich für die „psychischen Energien, die starke Abhängigkeit, Liebe, Zorn und Eifersucht einschließen und die einzigen Kräfte sind, die unsere Gesellschaft tragen“.
In einem Interview zu seinem letzten Film „Bad Guy“ (2001) erläutert der Regisseur seine Vorstellungen u.a. wie folgt: „Ich sehe Frauen auf einer höheren Ebene als Männer. Sie haben etwas zu bieten, das die Männer brauchen, wofür sie sogar zu zahlen bereit sind. Die meisten Leute werden anderer Meinung sein, aber so wie ich es sehe, ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern immer eine Art von Prostitution, selbst wenn kein Geld den Besitzer wechselt. Die Schwierigkeiten zwischen Männern und Frauen erzeugen die Energie, die die Welt am Laufen hält. Es ist ein universaler Konflikt, aber auf eine Weise spiegelt er auch kulturelle Differenzen. In Europa herrscht seit einiger Zeit Stabilität, und es gab wenig Probleme zwischen den Geschlechtern. Die europäischen Filme spiegeln diesen Status quo wieder, sie sind eher zurückhaltend. Asiatische Filme sind viel impulsiver und gewalttätiger, weil der Konflikt zwischen Männlich und Weiblich noch sehr stark ist“ (1).
Dabei spielt Ki-duk Kim gegen eventuelle Erwartungshaltungen des Publikums, besonders in „Seom“. Der Film spielt in der Abgeschiedenheit, Ruhe, Verlassenheit, der „freien Natur“, in einer fast romantischen Umgebung eines friedlichen Sees. Die Menschen, die hier zusammenkommen, sind scheinbar vereinzelt, jeder auf seinem Hausboot. Die Stadt, der Dreck, die Hektik scheinen fern und sind doch so nah, eng beieinander. Das impulsive Verhältnis von Distanz (zwischen den einzelnen Hausbooten und ihrer Bewohner) und Nähe, Abhängigkeit der einzelnen Bewohner voneinander und von Hee-Jin, aber auch die Dialektik von Macht und Ohnmacht prallen in dieser Abgeschiedenheit und Wortkargheit, durch die sich der Film auszeichnet, gnadenlos und scheinbar unaufhaltsam aufeinander. Ki-duk Kim lässt den Figuren keine Wahl. Er erzählt, was geschieht, und das, was geschieht, ereignet sich in der unvermeidlichen Logik der Lebensweise seiner Protagonisten.
Hee-Jin und Hyun-Shik sind wesensverwandt. Sie sind „ungleich“ als Frau und Mann, aber durch tiefe Verletzungen und Enttäuschungen im wahrsten Sinn des Wortes (ähnlich) geprägt. Genau das macht ihre Lebensweise, ihr Lebens-System aus. Hee-Jin ist die Wächterin über den See, die Hausboote. Die Männer, die zum Angeln, zum Saufen und vor allem, um Prostituierte zu empfangen, hierher gekommen sind, sind vor ihr zugleich abhängig und bemächtigen sich ihrer gegen Geld. Etliche dieser Männer, auch Hyun-Shik, können nicht schwimmen. Hee-Jin kann nicht nur schwimmen, sondern bewegt sich im Wasser wie ein Fisch, kann lange Strecken tauchen. Sie ist die Herrin des Sees. Doch zugleich ist sie ohnmächtig, den Männern ausgeliefert, die auch sie als Prostituierte wollen.
In der Sexualität liegen für Ki-duk Kim Stärke und Schwäche der Frau. Sie ist ihre stärkste Waffe und zugleich ist Sexualität der Ursprung ihrer Ausbeutung. An dieser Linie entfalten sich Macht und Ohnmacht. Hyun-Shik ist der Mörder und Verlorener auf dem Hausboot. Die Häuser auf dem Boot sind gerade so groß, dass eine Person darin Platz hat, höchstens noch eine Prostituierte. Die Häuser sind Rückzugsgebiet, aber auch Gefängnis, Sinnbild für das Eingesperrtsein. Keiner beschwert sich über die Enge. Das Wasser, Quell des Lebens, ist die Grenze dieser Enge, aber kaum einer kann schwimmen. Die Männer angeln, essen den rohen Fisch, das Leben aus dem Wasser. Das Wasser ist aber auch der Tod, nicht aus sich selbst heraus. Die Prostituierte stirbt darin, ihr Zuhälter, den Hee-Jin darin versenkt samt seinem Motorrad. Das Wasser steht für die Wahrheit, die Unmöglichkeit, Vergangenes zu eliminieren. Das Motorrad taucht wieder auf. Das Geheimnis, das Hee-Jin und Hyun-Shik im See verborgen haben, lüftet das Wasser: Wasser als Ort des Geheimnisses und der Enthüllung. Beide müssen fliehen.
Zwischen Hee-Jin und Hyun-Shik scheint nur eine Art sadomasochistische Beziehung möglich. Beide versuchen, sich mit Angelhaken zu zerstören, Hyun-Shik schluckt sie, Hee-Jin führt sie in ihr Geschlecht ein und steht blutüberströmt vor Hyun-Shik, der sie gesund pflegt und doch bei ihr bleibt, mit ihr flieht. Zwei der Haken liegen auf dem Boden, zu einem blutverschmierten Herz zusammengefügt. Beide verletzen sich selbst und den anderen und beide pflegen sich wieder gesund.
Ki-duk Kim „verlässt“ das Publikum mit zwei seiner typischen Bilder: Hyun-Suk begibt sich in eine Schilfinsel im See; er verschwindet darin. Hee-Jin treibt nackt in einem Kahn, nur knapp unter der Wasseroberfläche.
Gewohnte Dichotomien versagen in der Bilderwelt Ki-duk Kims: Opfer und Täter, Liebe und Hass, Sich-Gehören und Besitzergreifen, Zuneigung und Eifersucht, Gewalt und Zärtlichkeit, Leidenschaft und Hörigkeit sind untrennbar ineinander verwoben – eine verstörende, oft schwer erträgliche Bilderwelt. Die Begriffspaare sind in solchen Filmen analytisch nicht mehr zu rechtfertigen, nicht mehr nutzbar. Die scharfen Kritiken an Ki-duk Kims Filmen (u.a. auch „Adress unknown“, 2001) bewegen sich außerhalb dieser Bilderwelt, und das ist ein Problem. Denn Ki-duk Kim erzählt nicht von Tätern und Opfern, sondern schildert „gefallene“ Menschen in ihrem Aufeinander-Angewiesensein als ein Problem. Die Geschlechterdifferenz ist bei ihm nur eine unter vielen Differenzen, einem System von Differenzen, unter dem Menschen die Spirale von Wunsch, Enttäuschung und Gewalt durchlaufen.
(1) Zit. n. „Filmtext.com“: http://www.filmtext.com
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