The Sixth Sense
(The Sixth Sense)
USA 1999, 107 Minuten
Regie: M. Night Shyamalan

Drehbuch: M. Night Shyamalan
Musik: James Newton Howard
Director of Photography: Tak Fujimoto
Montage: Andrew Mondshein
Produktionsdesign: Larry Fulton

Darsteller: Bruce Willis (Dr. Malcolm Crowe), Toni Collette (Lynn Sear), Haley Joel Osment (Cole Sear), Olivia Williams (Anna Crowe), Donnie Wahlberg (Vincent Grey), Mischa Barton (Kyra Collins), Glenn Fitzgerald (Sean), Trevor Morgan (Tommy Tammisimo), Bruce Norris (Stanley Cunningham), Peter Anthony Tambakis (Darren), Jeffrey Zubernis (Bobby), Greg Wood (Mr. Collins)

Boring Ghosts

Shyamalans „Geisterbeschwörung“ aus dem Jahr 1999 wurde weithin als nervenzerreißender Thriller gefeiert, der dem Publikum mit psychologischen Mitteln raffiniert einen permanenten Schrecken einzujagen wisse. „The Sixth Sense“ arbeitet nicht mit billigen Schockeffekten, wohl wahr. Er arbeitet leider mit gar keinen solchen Effekten. Shyamalan setzt letztlich auf eine einzige Idee, die erst am Schluss dem Publikum offenbart wird und spielt mit Wahrnehmungsgewohnheiten, Erwartungshaltungen und dem Grenzbereich von Leben und Tod. Es fällt schwer, über den Film zu schreiben, ohne das überraschende Ende zu offenbaren. Ich werde das trotzdem nicht tun, weil es immer noch Menschen geben soll, die den Film nicht kennen.

Der gerade mit einem Preis für seine Leistungen als Kinderpsychologe ausgezeichnete Dr. Malcolm Crowe (Bruce Willis) feiert mit seiner Frau Anna (Olivia Williams) seine erfolgreiche Karriere. Als beide zu Bett gehen wollen, entdeckt Crowe ein zerschlagenes Fenster im Schlafzimmer. Sein ehemaliger Patient Vincent Grey (Donnie Wahlberg) steht ausgezogen im Badezimmer der Crowes und macht dem Psychologen heftige Vorwürfe: Er würde immer noch leiden, Crowe habe versagt und sei verantwortlich für seinen Zustand. Plötzlich zieht Grey eine Waffe, schießt auf Crowe und tötet sich dann selbst.

Monate später wird Crowe, der sich körperlich von dem Anschlag erholt hat, aber emotional noch immer darunter leidet, der Fall des neunjährigen Cole Sear (Haley Joel Osment) angetragen. Cole scheint unter der Trennung seiner Eltern stark zu leiden. Crowe erkennt starke Ähnlichkeiten zum Fall Greys. Coles Mutter Lynn (Toni Collette) hat Crowe allerdings nicht deswegen beauftragt, sondern weil sich Cole äußerst merkwürdig benimmt und seiner Mutter etwas zu verbergen scheint, worüber er nicht reden kann oder will. Nur langsam kann Crowe das Vertrauen des Jungen gewinnen, der von furchtbaren Ängsten getrieben wird.

Schließlich offenbart Cole dem Psychologen, dass er mehr sehen könne als andere Menschen: nämlich Tote und das ständig. In der Schule erzählt er seinem Lehrer Stanley Cunningham (Bruce Norris), das Gebäude sei früher eine Hinrichtungsstätte gewesen. Als der Lehrer dies als Unsinn zurückweist, erklärt Cole, man habe diesen Lehrer als Kind den stotternden Stanley genannt. Als Coles Mutter für nur wenige Sekunden die Küche verlässt und zurückkehrt, sind sämtliche Schranktüren und Schubladen geöffnet.

Crowe kann nicht glauben, dass Cole tatsächlich Tote sieht. Trotzdem fragt er ihn: „Was glaubst Du, was die toten Menschen von dir wollen?“ Vielleicht soll er ihnen bei Problemen helfen, damit sie zur Ruhe kommen? Da Crowes Beziehung zu seiner Frau sich nach dem Anschlag verschlechtert hat – die beiden sprechen so gut wie gar nicht mehr miteinander – und er zudem vermutet, Anna habe eine Affäre mit einem anderen Mann, gestaltet sich die Therapie mit Cole nicht gerade einfach. Crowe steht unter starkem psychischen Druck. Cole ist dies bewusst und er gibt Crowe einen Rat: „Rede mit ihr, wenn sie schläft. Dann wird sie dich hören.“ ...

Auch wenn mir die Fan-Gemeinde Shyamalans das nie verzeihen wird: Ich fand diesen Film über weite Strecken einfach nur – langweilig. Shyamalan fokussiert den Film auf einen Schlussakkord, der sicherlich als Idee für einen Ghost-Jenseits-Movie mehr als geeignet ist. Eine andere Sache ist es, wie der Film diese Idee – die sich einem ja nicht offenbaren soll – umsetzt. Bruce Willis schlafwandelt durch den Streifen als Psychologe, dem man seinen Job nicht ernsthaft abnehmen kann. Wie verhält er sich gegenüber dem achtjährigen Jungen? Er spricht mit ihm wie jeder andere, der das Vertrauen Coles gewinnen will auch, Standardsätze, nein nicht aus dem psychologischen Sachverstand, sondern aus dem Alltag. Was daran besonders psychologisch sein soll, ist mir unerfindlich. Willis wie Osment spielen ihren Part alles in allem derart gelassen und ruhig – mit wenigen Ausnahmen –, dass Glaubwürdigkeit angesichts der Umstände – Cole sieht immerhin Tote, die ihn sogar verletzen – gar nicht erst aufkommen kann.

Cole geht ernsthaft und fast erwachsen mit seinen Ängsten um, wie es selbst ein gestandenes Mannsbild respektive eine Frau, die mit beiden Füßen fest im Leben steht, nicht könnten. Ich weiß von meinen eigenen Kindern, wie schnell Ängste vor Dunkelheit, Träumen, später andere Dinge verunsichern können. Im Film geht es um Tote. Und trotz einiger verzweifelter Momente, in denen Cole wirklich sichtbar Angst bekommt, bleibt er gegenüber dem Druck, ständig tote Menschen sehen zu müssen, extrem standhaft. Jedes durchschnittliche Kind hätte seine Eltern oder andere Erwachsene sofort um Hilfe ersucht. Cole nicht. Im Gegenteil. Er verschließt sich mit seiner Angst, will allein damit fertig werden. Unglaubwürdig bis zum geht nicht mehr!

Andererseits wirkt Haley Joel Osment im Vergleich zu den anderen Darstellern noch überzeugend. Seine Mutter (Toni Collette) spielt eher abwesend, wie überhaupt der ganze Film abwesend, „nicht von dieser Welt“ zu sein scheint. Der Plot wirkt ver-rückt in eine andere Dimension. Nun mag man einwenden, dass genau verlange der Schluss des Films, die Auflösung der Geschichte mit seiner überraschenden Pointe. Wenn ich da an einen ähnlich arbeitenden Film mit Nicole Kidman denke, „The Others“, muss ich dem widersprechen, da dort vieles spannender erzählt wurde. Die Dialoge in „The Sixth Sense“ sind zum Einschlafen, oberflächlich, ohne Sinn für Subtilität. Die Charaktere, mit Ausnahme von Cole, sind farblos. Willis agiert, als ob er mal kurz vorbeischauen würde. Lediglich als Cole die Fähigkeit entwickelt, mit seiner Gabe, Tote zu sehen, mit ihnen kommunizieren zu können, umzugehen, bekommt der Streifen ein bisschen Farbe.

Andererseits, und das beherrscht den Film: Shyamalan zeigt z.B. eine Szene, in der eine Tote bei Cole zu Hause länger sichtbar gemacht wird. Selbst solche Szenen aber erregen kaum Interesse oder wecken Spannung, nicht weil irgendwelche Effekthascherei fehlen würde, sondern weil sie in einer Beliebigkeit und Beiläufigkeit daherkommen, dass man nur mit den Schultern zucken kann.

Insgesamt fehlt es „The Sixth Sense“ an Energie, inhaltlichem Tiefgang. Und ehrlich gesagt: Ich war zwar überrascht durch den Schluss des Films. Aber trotzdem griff ich mir an den Kopf und sagte mir: Und was hat Shyamalan mit dieser Idee angefangen? Für spirituelle Ideen und Geistergeschichten gibt es immer wieder einmal einen Nährboden. Und Menschen, die solchen Ideen sehr zugetan sind, mögen in „The Sixth Sense“ eine Bereicherung oder etwas Spannendes sehen. Das resultiert dann allerdings weniger aus dem Film als aus ihrer eigenen Disposition. Auch das geht in Ordnung. Mich aber lasse man bitte in Zukunft mit boring movies à la „The Sixth Sense“ in Ruhe, die auf einer winzigen Schlusspointe aufbauend für den Rest des Films die Dramaturgie, die Charaktere und den Inhalt sträflich vernachlässigen.

Epilog:
Nein, nein. Es geht nicht darum, „The Sixth Sense“ den Vorwurf zu machen, er sei „zu ruhig“ anstatt in extremen Horroreffekten seinen Erfolg zu suchen. Es geht um inhaltliche Konsistenz und logische Stringenz. Shyamalan baut eine Zweierbeziehung auf zwischen einem Psychologen, hinter dessen Auszeichnung, die er anfangs des Films erhalten und die er seinen beruflichen Fähigkeiten zu verdanken hat, sich die ganz Unsicherheit eines erwachsenen Mannes verbirgt, seine Schwächen und seine Hilflosigkeit, nicht nur angesichts der Rache, die einer seiner ehemaligen Patienten an ihm nimmt, und einem Jungen, der sich in ganz anderer Weise in einer ähnlichen Situation befindet, von Ängsten geschüttelt, weil er mehr weiß oder zu wissen glaubt als seine erwachsene Umgebung.

Diese Tendenzen zur Schwäche, sind nur die eine Seite. Crowe will heilen und wiedergutmachen. In Cole sieht er eine Möglichkeit, beides zu erreichen. Cole will wiedergutgemacht werden und heilt in gewisser Weise die Toten, die er sieht, und Crowe (Schlusssequenz). So weit, so gut. Ein Paranoiker hier, Cole, ein nicht so perfekter Psychologe dort, der eben nicht alles unter Kontrolle hat, beide von Ängsten geschüttelt. Der Paranoiker sieht, weil er Paranoiker ist, Wahrheiten, die die anderen nicht sehen können. Er enthüllt die Lügen, aus der die Welt gestrickt ist, und die Toten „erzählen“ sie ihm. Beide entrücken der Wirklichkeit ein Stück: Cole kapselt sich ein Stück weit ab von seiner Mutter, Crowe von seiner Frau.

Die „Lösung“ für Cole wäre, mit den Lügen anders umgehen zu können als auf paranoide, versetzte, ver-rückte, entrückte Art. Denn dies verschafft ihm Angst, und nur gelegentlich kann er dem durch Trotz und kindliche Stärke entkommen. Für Crowe wäre die „Lösung“ die „gefühlte Einsicht“, nicht perfekt sein zu können, nicht immer helfen zu können und bestünde darin, in der Unsicherheit und Unberechenbarkeit etwas Normales, nicht etwas Mangelhaftes zu sehen.

Wenn dies – als Ausgangsbasis des Films – dann dramatisiert worden wäre, wäre „The Sixth Sense“ einer der besten Filme aller Zeiten, wie es so schön heißt. Aber weit gefehlt. Denn Shyamalan inszeniert nur scheinbar die Relativität der Wahrheit und die Subjektivität der Wahrnehmung. Beide werden überlagert, ja geradezu zerstört durch die übersinnliche Tendenz des Films. Statt Paranoia Parapsychologie! Die Paranoia verflüchtigt sich in Paranormalität und vernichtet damit die Ausgangssituation. Wie macht er das?

Vor allem dadurch, dass er dokumentarische Beweise anführt: etwa die Videokassette, auf der ein Mädchen den Giftmord, den ihre Stiefmutter an ihr begangen hat, festgehalten hat. Damit gerät die Inszenierung in den Bereich des Übersinnlichen. Zudem: Warum hat sie den Film nicht einfach ihrem Vater gezeigt, statt darauf zu warten, bis ein anderer vorbeikommt? Weil Shyamalan es so möchte. Oder: Crowe glaubt nicht daran, dass Cole wirklich Tote sehen kann. Auch hier muss der dokumentarische Beweis her, ein Tonband, auf dem Stimmen zu hören sind. Dann übertönt die Musik James Newton Howards diese Stimmen. Warum kann man Tote nicht sehen, aber hören? Weil Shyamalan es so will. So einfach ist das. Oder: Warum verletzen die Toten ständig Cole? Weil er ihnen helfen soll? Warum muss ich jemanden verletzen, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen? Weil Shyamalan es so will. Weiter: Sobald der Zuschauer die Toten sieht, ist jeglicher Schauereffekt, jegliche Angst auf und davon. Mich haben sie jedenfalls nicht in Angst versetzt. Warum zeigt Shyamalan die Toten? Als dokumentarischen Beweis, dass sie wirklich herumgehen. Und schließlich: Cole kann nicht nur Tote sehen. Er kann Gedanken lesen. Als er dem Lehrer sagt, in dem Schulgebäude seien früher Leute aufgehängt worden, und der Lehrer dies als Märchen zurückweist, erzählt Cole, man habe den Lehrer früher den stotternden Stanley genannt. Woher weiß Cole das? Sieht er nicht nur Tote, sondern kann überhaupt in die Vergangenheit zurückblicken? Hat ihm ein Toter dies gesagt? Wenn ja, warum? Weil Shyamalan es so will.

Dies ist die zwiespältige Tendenz von „The Sixth Sense“. Shyamalan konnte sich entweder nicht entscheiden zwischen einem Film über Paranoia oder Paranormalität oder er wollte beides ineinander verquicken. Das Ergebnis ist auf jeden Fall eine verhunzte Mischung zwischen beidem. Ein gruseliger Geisterfilm geht in Ordnung. Ein Film über paranoide Wahrnehmung geht auch in Ordnung. Aber eine Mischung aus beidem muss zwangsläufig zu unlogischen Schlüssen führen, weil das gleiche Ereignis, das hier „noch“ paranoid ist, unter paranormalen Umständen eine ganz andere Bedeutung bekommt und umgekehrt. Die Vermittlung durch dokumentarische Mittel, wie oben erläutert, zwischen beiden Ebenen funktioniert eben nicht.

Die katholische Kirche hat immer versucht, die jeweils neuesten Ergebnisse der Naturwissenschaften über die Entstehung von Leben und Kosmos mit ihrer Lehre in Übereinstimmung zu bringen. Der Vatikan hat eigene ausgebildete Wissenschaftler, die diese Aufgabe zu erfüllen haben. Aber Religion und Wissenschaft folgen jeweils ganz eigenen Gesetzen. Ist man gläubig, verlässt man den Bereich der Wissenschaft. Ist man mit der Wissenschaft beschäftigt, verlässt man den Bereich des Religiösen. Alle Versuche, hier eine Brücke zu bauen, sind letztlich gescheitert. Oder wie es ein englischer Naturwissenschafter einmal ausdrückte: Wenn es einen Schöpfer geben sollte, dann muss er bei der Entstehung der Welt unendlich faul gewesen sein. (1) Warum? Weil man die Entstehung des Universums weitgehend aus sich selbst erklären kann, ohne dafür einen Schöpfer zu bemühen. Für die Erklärung der Entstehung der Welt benötigt man keinen Rückgriff auf den Zeigefinger Gottes. So ähnlich aber, durch Brückenbau, inszenierte Shyamalan „The Sixth Sense“.

(1) Vgl. Peter W. Atkins: Schöpfung ohne Schöpfer. Was war vor dem Urknall?, Reinbek bei Hamburg 1987 („The Creation“, 1981).