Up In The Air USA 2009,109 Minuten Regie: Jason Reitman Drehbuch: Jason Reitman, Sheldon Turner, nach dem Roman von Walter Kirn Musik: Rolfe Kent, Matt Messina Director of Photography: Eric Steelberg Montage: Dana E. Glauberman Produktionsdesign: Steve Saklad
Darsteller: George Clooney (Ryan Bingham), Vera Farmiga (Alex Goran), Anna Kendrick (Natalie Keener), Jason Bateman (Craig Gregory), Amy Morton (Kara Bingham), Melanie Lynskey (Julie Bingham), Danny McBride (Jim Miller)
Fire(d) !
St. Louis, Kansas, Tulsa, Wichita, Miama, Detroit, Milwaukee ... Reisen durch die USA, aber die einer ganz anderen Art als Urlaubsreisen. Der Reisende hat ein Ziel: 10 Millionen Flugmeilen zu sammeln. "That's the only point!" Er reist nicht aus Vergnügen, aber es bereitet ihm Vergnügen. Er ist einer jener smarten, charmanten und gut aussehenden Männer, die wahrscheinlich fast jede Frau haben könnten – aber er hat keine. Er hat eine Familie, zwei Schwestern, aber er hat sie auch nicht. Denn Familie, Eigenheim, Liebe – all das interessiert ihn nicht. Er schleppt ein Stück Pappe mit sich herum, das nicht ganz in seinen Trolley passt, darauf Bilder seiner jüngeren Schwester Julie und ihres Freundes Jim, die bald heiraten wollen. In jeder Stadt knipst er diese Pappe vor dem Hintergrund eines Hochhauses oder irgendwelcher Sehenswürdigkeiten und schickt sie seiner Schwester. Ryan Bingham (George Clooney) lebt zwischen Flughäfen, Hotels, Passkontrollen, Firmen, in denen er seine Arbeit verrichtet, und der Firma in Omaha, für die er arbeitet. Ryan lebt in der Luft, und nur bei seiner Arbeit hat er Bodenhaftung. Sie macht ihm Spaß, diese Arbeit.
Ryan ist so etwas wie ein Motivationstrainer im Business-Bereich. Er hält Vorträge über Gepäck – das heißt, er versucht Menschen zu animieren, wenn es nötig ist, ihre Sachen zu packen und zu gehen, flexibel und mobil zu bleiben. Er verkauft dies als einzig wahre Freiheit und das einzig wirkliche Leben. Ryan Bingham lebt in den Wolken, in denen diese Freiheit grenzenlos scheint. Er lebt in einer anderen Welt, und doch so tief verwurzelt in der globalisierten neoliberal aufgeputschten Ökonomie wie kaum ein anderer.
Jason Reitman ("Juno", 2007), Sohn von Ivan Reitman ("Ghostbusters", "Twins", "Evolution"), zeigt uns die Welt dieses Mannes, dessen eigentliche Aufgabe es ist, in Firmen Massenentlassungen zu organisieren, in einer tragischen und stellenweise komischen Art und Weise. Doch "Up In The Air" ist weder Tragödie noch Komödie, sondern eher ein meisterhaft beobachtender Blick in diese uns so fremde Welt der Grausamkeiten.
Es gibt kaum eine Stadt in den Staaten, in denen er diesen Job noch nicht verrichtet hat. Er "motiviert" seine Opfer mit dem Satz: "Let's talk about your future", um ihnen dann Abfindungen, die Arbeit in Auffanggesellschaften u.a. "schmackhaft" zu machen. Jede(r) Entlassene bekommt eine wunderschön aufgemachte Mappe mit Tipps & Tricks. Für seinen Chef Gregory (Jason Bateman) ist Ryan das absolute Zugpferd für diesen Job. Ryan kennt keine Skrupel. Warum auch? Er hält dieses "hire and fire" nicht nur für einen Normalzustand. Für ihn besteht das Leben aus nichts anderem als Mobilität. Ryan kennt keine Bindungen und will keine. Seine Schwestern Kara und Julie sind weit weg. Zur Hochzeit Julies will er gar nicht erst erscheinen. Nur die Pappe mit dem Bild von Julie und ihrem Freund stellt eine magere Verbindung zwischen ihnen her.
Zwei Frauen verändern Ryans Leben – ohne dass er lange Zeit davon etwas merkt. In der Bar eines der vielen Hotels, in denen Ryan sich zwischenlagert, lernt er die Geschäftsfrau Alex Goran (Vera Farmiga) kennen. In ihr sieht er jemanden auf seiner Wellenlänge. Immer wieder treffen sich die beiden, wenn sich ihre Wege irgendwo in den Staaten kreuzen. Die zweite Frau ist die frisch von der Universität kommende und karrierebewusste Natalie Keener (Anna Kendrick), die Gregory eingestellt hat. Ihr Motto, mit dem sie Gregory beeindruckt hat: "Glocal", was bedeutet: global must be local. Was das bedeutet? Nun, sie schlägt vor, statt in den Staaten herumzureisen, um massenhaft Menschen zu entlassen, sollte man diesen Job vor Ort per Videokonferenz mit den Betroffenen erledigen. Das spart Geld und Zeit. Ryan ist davon überhaupt nicht begeistert. Zum einen wegen seiner Flugmeilen, aber – um ihm nicht ungerecht zu werden – vor allem, weil er sich einen letzten Rest Menschlichkeit bewahrt hat – soll heißen: Er will den Opfern persönlich die schlechten Nachrichten übermitteln – die ja, nach seiner Philosophie, eigentlich etwas Gutes sind.
Gregory entscheidet, Natalie solle erst einmal Ryan begleiten, um praktische Erfahrungen im Feuern zu sammeln – bis sie eines Tages selbst das Gespräch mit den zu entlassenden Mitarbeitern bei irgendeiner Firma führt: eine fast schon existentielle (negative) Erfahrung für sie. Reitman zeigt uns Dutzende dieser Menschen, die nicht verstehen, warum sie entlassen werden, die sich fragen, wie es weiter gehen soll, wie sie ihre Familien ernähren sollen usw.
Ryan wird nun von zwei Frauen mit einem Leben konfrontiert, das ihm fremd ist: Er verliebt sich in Alex, und zwar "so richtig", während Natalie seine, wie sie sagt: "bullshit philosophy" eines Lebens ohne Bindung, Liebe usw. verachtet – und ihm dies auch sagt.
Trennungen aller Art sind die Folge ...
Jason Reitman ist mit diesem Film sehr nahe an einer Realität, die auch bei uns längst angekommen ist. Was hier als Freiheit verkauft wird, ist etwas ganz anderes: das Recht auf ökonomische Zügel- und Regellosigkeit in einer Welt, in der die schmutzigen Geschäfte von Finanzhaien, Banken und anderen Abzockern nur die Spitze eines Eisbergs bilden. Unter der Oberfläche herrscht eine Ökonomie, die sich selbst genug ist, die niemanden anders zu brauchen scheint, um sich immer wieder zu reproduzieren. Geld heckt Geld – was will man mehr? Die paar Leute, die wirklich noch gebraucht, missbraucht, benutzt, instrumentalisiert werden, haben nur eine Aufgabe: diese Welt auf einem immer höheren, sprich quantitativ steigenden Geldniveau zu reproduzieren. Der Sinn dieser Art von Ökonomie ist, dass sie keinen Sinn hat. Überzeugungen, Emotionen, Kommunikation – all das und vieles mehr sind überflüssig geworden. Sie sind verkommen zu technizistischen Instrumentarien einer selbstgenügsamen Ökonomie und ihrer "Leistungsträger", die irgendwann den Karren gegen die Wand fahren werden, ohne – so hoffen sie jedenfalls nicht zu Unrecht – selbst dabei drauf zu gehen.
Aber Reitman erzählt nicht einfach über diese Ökonomie. Er erzählt vor allem und ganz im Vordergrund über einen seiner Helfershelfer: Ryan Bingham. Er erzählt von einem Mann, der sich – bewusst oder unbewusst – von jeglichen Bindungen frei gemacht hat. Gegenüber Natalie rechtfertigt er dies deutlich: Ja, in der Liebe gäbe es manchmal "a second of feeling", einen Moment tiefster Emotionalität. Aber eben nur diese Sekunde. Was würde das schon bedeuten? Nein, Ryans Motto ist eher: "The slower we move, the faster we die." Ryan, dem Alex gegen Ende des Films sagt, er sei ständig auf der Flucht, sieht in dieser Bewegung nicht Flucht, sondern das einzige, was zählt. Ryan ist das personifizierte Kapital, das sich auf ewig immer wieder reproduziert, mehr wird, größer, und doch immer dasselbe bleibt: tot. Totes in ständiger Bewegung. Aber Ryan begreift dieses Tote als das einzig Lebendige. Erst als ihn Alex überredet, doch zur Hochzeit seiner jüngeren Schwester zu fahren, spürt er noch etwas anderes in sich.
"Up In The Air" ist weit davon entfernt, seinen Protagonisten ethisch zu verdammen. George Clooney spielt diesen Ryan als sympathischen Mann, der Unsympathisches tut. Aber die Rolle ist nicht als Feindbild angelegt. Reitman will seinen Protagonisten durchleuchten, er beobachtet ihn, etwa auch die eingespielten Verhaltensabläufe am Flughafen (wie er z.B. schneller als die anderen Passagiere durch die Sicherheitskontrollen kommt). Dabei lässt er Humorvolles nicht außen vor, etwa wenn Ryan das Angebot einer Stewardess, die ihm etwas zu trinken reichen will: "Do you want the can, Sir?" missversteht: "Do you want the cancer?" Auch in solchen Szenen zeigt sich die (zumindest über weite Strecken des Films) geradezu groteske und vollständige Involviertheit Ryans in "seine" Welt von Flugmeilen, Job und Bindungslosigkeit, in der er voll aufgeht.
Clooney spielt Ryan so, wie man sich diese Rolle nicht besser gespielt vorstellen und besetzt sehen kann. Aber auch Vera Farmigas und vor allem Anna Kendricks Rollen sind optimal besetzt.
Summa summarum: ein über die ganzen 109 Minuten nie langweilig werdender, unterhaltsamer und vor allem kritischer Film aus dem Hause Paramount.
Der Film läuft hierzulande ab dem 4. Februar 2010 in den Kinos.
Wertung: 9,5 von 10 Punkten. (16. Januar 2010)
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