Verfolgt (auch: Späte Rache)
(Pursued)
USA 1947, 101 Minuten (DVD: 96 Minuten)
Regie: Raoul Walsh

Drehbuch: Niven Busch
Musik: Max Steiner
Director of Photography: James Wong Howe
Montage: Christian Nyby
Produktionsdesign: Ted Smith, Jack McConaghy

Darsteller: Teresa Wright (Thorley Callum), Robert Mitchum (Jeb Rand), Judith Anderson (Medora Callum), Dean Jagger (Grant Callum), Alan Hale (Jake Dingle), John Rodney (Adam Callum), Harry Carey Jr. (Prentice McComber), Ernest Severn (Jeb, 11 Jahre), Charles Bates (Adam, 11 Jahre), Peggy Miller (Thorley, 10 Jahre)

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Wollte man versuchen, Raoul Walshs „Pursued” in ein Genre einzuordnen, so fiele einem zuerst „Western” ein. Und doch ist der Film nur dem äußeren Schein nach ein Western. Auch „Familiendrama” kennzeichnet die Geschichte nur zum Teil. Genauso treffend wäre es, „Pursued” als film noir zu beschreiben. All diese Einordnungsversuche aber verdeutlichen letztlich nur, dass Walsh hier abseits der üblichen Genre eine Geschichte von Verrat, Liebe, Hass, Trauma und Wiedergutmachung erzählt, die den Film in seiner ganzen Inszenierung zu einem Ausnahmefilm jener Jahre nach dem Krieg werden ließ. Und so antiquiert manchem vielleicht die Geschichte in ihrem Grundgerüst angesichts heutiger Geschmacksrichtungen und Moden erscheinen mag, so faszinierend erscheint sie mir im Vergleich zu manchem Drama, das uns heute dargeboten wird.

Ein Alptraum, der sich zum Trauma auswächst – seit seinem vierten Lebensjahr verfolgt es Jeb Rand (Robert Mitchum). Immer wieder sieht er in seinen Träumen silbern glänzende Sporen. Immer wieder lauert irgendeine tödliche Gefahr, von der er nicht weiß, was sie zu bedeuten hat. Immer wieder auch beschleicht ihn das Gefühl, verfolgt zu werden.

Medora Callum (Judith Anderson) nahm Jeb im Alter von vier Jahren zu sich auf. Seine Eltern waren tot, seine Schwester auch. Und Jeb wächst heran neben seinen ungefähr gleichaltrigen Stiefgeschwistern Thorley und Adam Callum (Teresa Wright, John Rodney). Medora behandelt Jeb wie ihre eigenen Kinder, die auf der kleinen Ranch eine (fast) unbeschwerte Jugend verbringen. Ein Vorfall allerdings deutet an, was Jeb und die Familie Callum künftig schwer belasten wird: Ein Unbekannter schießt auf ihn und trifft sein Pony tödlich. Und obwohl Jeb Adam verdächtigt, der ihm verboten hatte, mit dem Pony auszureiten, weiß Medora genau, dass jemand anders hinter dem Vorfall steckt.

Als Jeb erwachsen ist, sucht die Armee Freiwillige für den Krieg mit den Spaniern. Auf jeder Ranch solle sich jemand melden. Und es ist Jeb, der nach einem Münzwurf mit Adam den Kürzeren zieht. Nach Monaten kehrt er wieder zurück – gefeiert als Kriegsheld, der sich tapfer geschlagen hat. Thorley freut sich besonders, dass Jeb mit einer nur leichten Verletzung heimgekehrt ist. Denn sie liebt Jeb und er liebt sie. Nur einer freut sich nicht: Adam. Schon von klein auf war ihm Jeb ein Dorn im Auge. Und nun versucht er alles, um Jeb zum Weggehen zu drängen.

Und noch jemand ist hinter Jeb her: Grant Callum (Dean Jagger), der Schwager Medoras, die ihn vor Jahren daran hindern konnte, Jeb etwas anzutun. Doch Grant hatte geschworen wiederzukommen, wenn Jeb erwachsen sei. Grant, inzwischen Staatsanwalt, hat nichts weiter im Kopf als – Rache, Rache an der Familie Rand. Und Jeb ist der einzige der Rands, der noch lebt. Jetzt spricht Grant Adam an und erzählt ihm, es gebe einige Dokumente über die Rands, die er sich vielleicht einmal anschauen solle.

Wenig später ist Adam tot – erschossen von Jeb. Als der auf dem Weg zurück zur Ranch aus dem Hinterhalt beschossen wird, schießt er zurück. Und erst als er die Leiche umdreht, sieht er, dass Adam auf ihn geschossen hatte. In einem Prozess, in dem Grant die Höchststrafe für Jeb fordert, wird Jeb freigesprochen. Denn Richter und Geschworene glauben ihm, dass er aus Notwehr gehandelt hat. Doch Medora und Thorley verstoßen Jeb – hasserfüllt.

Jeb verlässt die Ranch und kauft sich bei dem Saloonbesitzer Jake Dingle (Alan Hale) ein, wird zu seinem Partner. Nachdem er Monate später auf einer Tanzveranstaltung Thorley wieder trifft, die er immer noch liebt, und sie zum Tanz zwingt, stachelt Grant den jungen Prentice (Harry Carey Jr.), der sich Hoffnungen auf Thorley macht, auf, sich an Jeb zu rächen. Wenig später ist auch Prentice tot ...

Robert Mitchum spielt einen Mann, der seit seiner Jugend von Alpträumen und Verfolgungsängsten geplagt wird, dessen Familiengeschichte ihm von allen, die davon etwas wissen, vorenthalten wird – einen Mann, der von sich selbst glaubt, etwas Böses, Dunkles stecke in ihm, der glaubt, er könne nicht wirklich lieben, obwohl er sich zu Thorley schon immer hingezogen fühlte. Mitchum verkörpert den deprimierten, ahnungslosen und heimatlosen Anti-Helden, der – obwohl von Medora liebevoll aufgenommen und von Thorley geliebt – permanent das Gefühl hat, schlecht und vom Schicksal verfolgt zu sein. Er ertrinkt deshalb nicht in Selbstmitleid, nein. Jeb ist eine Art Stehaufmännchen, der immer wieder überlegt, was der Grund für sein Schicksal sein könnte – und erst ganz am Schluss eine Antwort erhält.

Walsh inszenierte diese Geschichte in einer selten klaren, ja nüchternen Art, die auf fast jegliche Sentimentalität verzichtet und erst recht ohne Rührseligkeit auskommt. Das Schicksalhafte führt Walsh auf harte Fakten zurück und löst es damit auf. Für ihn ist entscheidend, was in den Beziehungen der Akteure geschieht. Die Kain-und-Abel-Assoziation zwischen Jeb und Adam ist ebenso einer „praktischen” Gefühlswelt geschuldet wie die Liebe zwischen Jeb und Thorley. Beide Beziehungen und auch die zwischen Jeb und Medora werden beherrscht nicht von den „großen Gefühlen” jenes Kinos, das man eben deshalb Gefühlskino nennt, sondern von Gefühlen, die auf klar umrissene Interessen und Wünsche, Bedürfnisse usw. zurückgeführt werden können.

„Pursued” ist vor allem eben ein in das Genre des Western gekleideter film noir, der eher einem Tennesse-Williams-Stück gleicht als einem „wirklichen” Western. Die Colts, aus denen geschossen wird, versinnbildlichen „nur” das verkehrte Verhalten der Akteure respektive das durch Intrige oder Verschleierung der Vergangenheit bedingte Aufeinanderprallen der Protagonisten. Das Verkehrte in den Handlungen fast aller Beteiligten steigert sich zu immer tragischeren Verwicklungen, bis ein sozusagen befreiender Akt Jebs am Schluss des Films die Knoten auf einen Schlag löst und einem „kleinen Happyend” endlich die Tore geöffnet werden.

Wir treffen auf Adam, einen Mann, der schon als Junge in Jeb nur einen Konkurrenten sah – bedingt auch durch die Unaufmerksamkeit seiner Mutter, die, weil sie etwas zu verschleiern hat, vor allem ein Auge auf Jeb wirft. Wir treffen auf Thorley, die – geblendet durch ihre Liebe zu Jeb – im tragischen Moment nicht erkennt, wes Geistes Kind ihr Bruder Adam war. Wir treffen auf Medora, die um alles in der Welt verhindern will, dass die Vergangenheit Jebs und seiner Familie und das damit verbundene Tragische ans Tageslicht kommt, weil sie selbst im Mittelpunkt dieser Tragik stand und steht. Wir treffen auf Jeb, der wie ein verzweifelnd Suchender mehr durch die Welt irrt, als dass er einen Weg für sich finden könnte. Und wir treffen auf Grant Callum, der wahrscheinlich nur Staatsanwalt geworden ist, um seinen abgrundtiefen Hass gegen die Rands, von denen nur einer übrig geblieben ist, besser unter dem vermeintlichen Schutz des Gesetzes ausleben zu können – einen Hass, der seinen Selbsthass nur verbergen soll.

Die nüchterne, düstere und bis fast zum Schluss tragische Atmosphäre des Films bewirken auch die Bilder James Wong Howes, der den Westen des Westerns als größtenteils kalten Raum erscheinen lässt. Das Fünkchen Hoffnung, das man anfangs noch hegt in Bezug auf einen positiven Ausgang des Films, verschwindet mit zunehmender Handlung. Und erst zum Schluss, als Jeb bereit ist, sein Leben zu lassen und dem Schicksal seinen Weg zu lassen, bleibt ein Happyend, das jedoch angesichts des bis dahin Geschehenen kaum befriedigend sein kann. Vieles an dieser Inszenierung erinnert mich an Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers” (1955), in dem ebenfalls Robert Mitchum eine zentrale Rolle spielt (obwohl so ganz anders als in „Pursued”).

© Bilder: Kinowelt Home Entertainment.
Screenshots von der DVD.