Vienna
(Vienna)
Deutschland 2000, 104 Minuten
Regie: Peter Gersina

Drehbuch: Peter Gersina
Musik: Thomas Rabitsch
Director of Photography: Zivko Zalar
Montage: Moune Barius

Darsteller: Roman Knižka (Ludwig), Axel Milberg (Bruno), Max Tidof (Anatol), Elke Winkens (Maria), Maria Marozsán (Eva), Detlef Bothe (Thomas), Viola von der Burg (Conférencier), Kirk Kirchberger (Slotter), Heio von Stetten (Chefredakteur), Jed Curtis (Architekt Curtis), Marina Anna Eich (Tänzerin)

Eine deutsche Komödie: Zum Davonlaufen

Regisseur Peter Gersina fiel 1998 mit seinem Debüt „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ auf, unangenehm, denn der Witz dieses Streifens war keiner, ein Musterbeispiel deutscher Komödie, über die, zumindest ich, nicht lachen konnte. Mit „Vienna“ versuchte es Gersina erneut – erfolglos, wie ich meine.

Ludwig (Roman Knizka) ist Totengräber. Er hat den Wiener Zentralfriedhof zeit seines Lebens nie verlassen. Als er aufgrund von Einsparungsmaßnahmen kurzerhand vor die Mauern gesetzt wird, fällt er in eine Welt, die ihm in jeder Hinsicht völlig unbekannt ist. Mit einem Koffer bestückt, der ihm kurz darauf gestohlen wird, läuft er einem Fahrradfahrer in die Speichen. Der, Bruno (Axel Milberg) und blind, nimmt ihn mit nach Hause. Das Zuhause ist ein Bauwagen auf einer Großbaustelle, in dem Bruno mit dem Loser Anatol (Max Tidof) lebt, der den Eindringling schnell wieder loswerden will. Ludwig behauptet, er habe bei dem Unfall das Gedächtnis verloren, so dass Bruno ihn aus Mitleid im Wagen übernachten lässt.

Bruno ist – trotz des Pennerdaseins – ein Genießer. Als abgehalfterter Kunstkritiker, ausgestattet mit einer alten Schreibmaschine, besucht er – jetzt mit Ludwig – Kunstausstellungen und läuft plötzlich auf Hochtouren. Einen ersten Artikel kann er an eine Zeitung verkaufen. Anatol hingegen ertrinkt in Selbstmitleid und des öfteren auch im Alkohol, seit ihn seine große Liebe mir nichts dir nichts verlassen hat – ein Zyniker mit Weltschmerz, der sich ständiger Kritik der Tankstellenbesitzerin Maria (Elke Winkens) ausgesetzt sieht, die ihn liebt, aber gleichzeitig aus seiner Loser-Mentalität herausholen will. Das Geld, das Bruno jetzt verdient, und einige Ersparnisse von Anatol ermöglicht dem Trio, eine Wohnung zu mieten.

Ludwig stolpert eines Tages über die ungarische Nackttänzerin Eva (Erika Marozsán), die in einem Bordell mit einer Schlange auftritt und ständigen Zudringlichkeiten des brutalen Bordellbesitzers ausgesetzt ist. Ludwig verliebt sich in Eva, Eva in ihn. Wie aber Eva da herausholen?

Und noch etwas plagt die drei Freunde. Bruno ist blind, weil er einen Gehirntumor hat, der ihn nicht mehr lange leben lässt ...

Dass dieser Film in Wien spielt, „Vienna“ betitelt ist, hatt für die Handlung, die uns Gersina hier auftischt, keine Bedeutung. Kaum jemand, schon gar nicht die drei Freunde, sprechen wienerisch. Der Ort der Handlung ist so beliebig wie die Handlung und die Personen selbst. Gersina spielt einerseits mit kinematographischen Versatzstücken – dem „High Noon“-Duell etwa, wenn die drei Freunde einem „feindlichen“ Raupenfahrzeug auf der Baustelle gegenüber stehen –, zum anderen mit zahlreichen Basis-Konflikten und -Situationen. Ludwig ist das verstoßene Kind, das sich in der Welt „da draußen“ zurecht finden muss, er verliebt sich in eine Hure, in der er einen Engel sieht, die drei Freunde müssen den Kampf David gegen Goliath hinter sich bringen usw. usf.

Wollte man die Geschichte in all ihren Einzelheiten, Nebenschauplätzen, Verwicklungen usw. erzählen, müsste man einigen Aufwand treiben. Ein Vorteil? Eine erzählerische Dichte, die doch einen guten Film ausmacht? Eher nicht. Denn die Handlung ist nach etwa zehn Minuten vorhersehbar wie die Vorsehung. Dass Ludwig seine Hure bekommt, die tatsächlich ein Engel ist, dass Anatol dem Suff und dem Selbstmitleid entkommt und dafür mit Maria schlafen darf, dass der Tod Brunos Katalysator für die Befreiung der anderen beiden Helden ist – das ist derart durchsichtig, dass der Film nach höchstens einer Dreiviertelstunde langweilig wird. Schon beim ersten Zusammentreffen der zwei Liebespaare ist alles völlig klar.

Dramaturgisch ist das ein Desaster. Denn ein Film verliert damit genau das, was ihn ausmachen sollte. Gersina versichert sich gegen die Risiken des Filmemachens, indem er z.B. keine tiefer gehende Psychologie zulässt, die zu einer Feinzeichnung seiner Figuren beitragen könnte. Es gibt nur positive Helden mit ein paar Mängeln, von denen man ebenso gleich am Anfang weiß, dass sie behoben werden. Das sind letztlich gar keine Mängel, sondern Banalitäten. Alles in diesem Streifen wirkt, als ob sich drei gut verdienende Leute aus Jux freiwillig für ein paar Wochen in einen Bauwagen als Pseudo-Penner begeben, um Abenteuerurlaub zu machen – in der Sicherheit, danach wieder zu den eigenen Pfründen zurückkehren zu können. Das „Märchenhafte“ der Geschichte, z.B. auch die Fähigkeit Ludwigs, in die Zukunft zu schauen – ist nur „gestellt“. Ludwig kann dies sozusagen nur deshalb, weil er das Drehbuch seines Lebens schon kennt. Sein „Hellsehen“ ist der durchschaubare Blick des Regisseurs auf sein Drehbuch.

So wirkt der Blick auf Handlung und Personen gleichsam wie der, sagen wir, der Münchner Schickeria, die sich vorstellt, wie es denn wäre, sich in ein solches Abenteuer zu stürzen. Es schließt sich dramaturgisch kein Kreis, da handelt niemand, außer dem Regisseur, der allzu offensichtlich die Puppen tanzen lässt, die Filmmusik unterstreicht penetrant, was längst fünfmal gesagt wurde oder zu erwarten war. Alles so, wie man es gerne hätte: Kein Spannungsaufbau, nicht einmal der Versuch einen Spannungsbogen zu entwickeln oder den Personen Freiraum zur Entfaltung zu lassen. Alle drei Helden, Milberg, Knizka und Anatol, auch Maria Marozsán und Elke Winkens, mühen sich redlich, vergebens. Gersinas Figuren haben kein Fleisch und Blut.

Nach 104 Minuten erlöst uns der Tod Brunos. Wir dürfen endlich erleichtert das Kino verlassen und uns einen hinter die Binde kippen. Denn ein Schnaps oder ähnliches ist jetzt vonnöten, um dieses Drama eines Dramas, diese Lächerlichkeit einer Komödie, diesen Münchner Klatsch, der sich als Geschichte verkaufen möchte, zu verdauen.


 

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