Volver
(Volver)
Spanien 2006, 120 Minuten
Regie: Pedro Almodóvar

Drehbuch: Pedro Almodóvar
Musik: Alberto Iglesias
Director of Photography: José Luis Alcaine
Montage: Luis San Narciso
Produktionsdesign: Salvador Parra

Darsteller: Penélope Cruz (Raimunda), Carmen Maura (Abuela Irene), Lola Dueñas (Sole), Blanca Portillo (Agustina), Yohana Cobo (Paula), Chus Lampreave (Tía Paula), Antonio de la Torre (Paco), Carlos Blanco (Emilio), María Isabel Díaz (Regina), Neus Sanz (Inés)

Wohin?

Die Gesichter bei Almodóvar zeigen es mehr als deutlich – in jedem seiner Filme. Das Land, hier die La Mancha, aus der der Regisseur selbst stammt, ist gebrochene Heimat, halbe Heimat, der Ort, von dem man weggeht, weggehen muss. Die Stadt ist der Fluchtpunkt, das Exil, das Asylum, keine Heimat, nur ein Provisorium. Immer wieder kehrt die Erinnerung zurück an den Ort der Geburt, der oft auch der Ort des Todes ist. Die Verortung des Menschen in Almodóvars Filmen ist nicht möglich. Der Mensch lebt in einer Art Unschärferelation: Man kann entweder bestimmen, wo jemand „ist”, aber dann seine Bewegung (Erinnerung, Denken, Fühlen, Handeln) nicht orten, weil dieses „Ist“ zumeist ein kaltes Erstarren und Verweilen beinhaltet – oder man kann seine Gedanken, Emotionen usw. erkennen und nachempfinden, aber damit wird die Verortung unmöglich, weil Heimat nicht möglich ist.

Die La Mancha als Ort der Entstehung des machismo, dieses besonderen spanischen Chauvinismus – wenn dieser Begriff überhaupt annähernd bezeichnen kann, was gemeint ist –, ist aber noch mit anderem verbunden: mit dem Blick, dem intensiven Blick auf die Frauen aus dieser Region. Und die Frau, die in „Volver” alle Blicke auf sich zieht, ist zweifellos Raimunda bzw. Penélope Cruz. Ihre Schönheit, ihre erotische Ausstrahlung, ihre dunklen Augen, ihre Bewegungen, ihre Tränen, ihr Handeln, ihr Körper – all das zieht die Aufmerksamkeit auf sich, und die Kamera potenziert das Anziehende, steigert die Schönheit des Hinschauens. Aber nicht im Sinne amerikanischer Blockbuster oder Billigproduktionen, nicht im Sinne der sexuellen Provokation oder des blanken Reizes, hinter dem sich nicht viel verbirgt als ein männliches Begehren, hinter dem nichts Wesentliches zu finden ist. Nein, diese Erotik, die Schönheit der Hauptdarstellerin ist unabdingbar verknüpft mit der Geschichte, die Almodóvar erzählt, bildet eine Art Kontrapunkt zum Geschehenen und zum Vergangenen.

Raimunda ist geflüchtet, in die Stadt, vor langer Zeit, und lebt mit ihrem Mann Paco (Antonio de la Torre) und ihrer Tochter Paula (Yohana Cobo). Nur ab und an besucht sie mit ihrer Schwester Sole (Lola Dueñas) den Heimatort in der La Mancha, vor allem um ihre Tante Paula (Chus Lampreave) und deren Nachbarin Agustina (Blanca Portillo) zu besuchen, die sich um die Tante kümmert. Die Eltern von Raimunda und Sole sind vor langer Zeit bei einem Brand ums Leben gekommen. Und seit diesem Tag ist auch Agustinas Mutter, die wahrscheinlich aus Protest gegen den machismo zum Hippie geworden war, spurlos verschwunden. Der Tante geht es schlecht, und es ist ein Wunder, dass sie noch kochen und backen kann, aber kaum gehen. Sie scheint verwirrt. Die Leute im Ort glauben, der Geist von Raimundas und Soles Mutter Irene (Carmen Maura) helfe der Tante im Alltag. Kurz darauf stirbt Tante Paula.

Und nun passieren zwei Dinge, die das Leben der Frauen grundlegend verändert. Als Raimunda eines Tages nach Hause fährt, wartet ihre Tochter Paula verängstigt an der Bushaltestelle auf sie. In der Wohnung entdeckt Raimunda in der Küche ihren Mann tot am Boden. Paula hat ihn mit einem Küchenmesser erstochen, als Paco sich ihr betrunken in eindeutiger Absicht genähert hatte und nicht aufhörte, Paula zu bedrängen. Paula wusste sich nicht anders zu helfen und hat in Notwehr gehandelt. Mutter und Tochter verstecken die Leiche in der Kühltruhe eines Restaurants, dessen Besitzer Raimunda die Schlüssel gegeben hatte, damit diese potentiellen Käufern das Restaurant zeigen könne. Raimunda und Paula erzählen niemandem von dem schrecklichen Ereignis.

Währenddessen kehrt Sole von der Beerdigung der Tante zurück in die Stadt – und entdeckt im Kofferraum ihres Autos: ihre Mutter. Auch sie ist überzeugt davon, dass der Geist ihrer Mutter zurückgekehrt ist, um Dinge zu klären, die sie vor ihrem Tod nicht mehr klären konnte. Irene wohnt bei Sole, die in ihrer Wohnung als Friseurin schwarz arbeitet und Kundinnen empfängt, und stellt denen ihre Mutter als russische Aushilfe vor. Sie verheimlicht Raimunda die Rückkehr (des Geistes) der Mutter, die sich unter dem Bett versteckt, wenn Raimunda Sole besucht. Denn Raimunda hatte zuletzt kein gutes Verhältnis zu Irene.

Diese beiden Ereignisse jedoch sind der Anfang der langsamen Aufdeckung eines Familiengeheimnisses, das das Leben aller Frauen verändern wird ...

Man liest, auch „Volver” sei – wie viele andere Filme Almodóvars – ein „Frauenfilm”. Das ist insofern richtig, als sämtliche tragenden Figuren im Film Frauen sind, und selbst in den Nebenrollen fast nur Frauen zu sehen sind, etwa die Nachbarinnen Raimundas, die ihr dabei helfen, heimlich das Restaurant des vorübergehend abwesenden Nachbarn wieder in Gang zu setzen. Und trotzdem ist „Volver” in anderer Perspektive vor allem ein „Männerfilm”. Almodóvar beschwört geradezu – wie auch schon in früheren Filmen – eine tief verwurzelte Solidarität zwischen den Frauen seiner Heimat – leben sie nun dort oder sind sie von dort weggezogen. In allen Poren des Films ist dies zu spüren, im Verhalten der Frauen, in ihren Blicken, und all das in einer so natürlichen, selbstverständlichen Art und Weise, wie es nur Almodóvar darstellen kann. Es handelt sich um eine Solidarität, die eine lange Tradition hat, sich als eine Art Reaktion auf den machismo der La Mancha herausgebildet hat. Almodóvar zeigt diese Solidarität auch mit einer guten Portion Komik, etwa wenn die Frauen sich bei allen möglichen Gelegenheiten intensiv und laut küssen, aber auch in den Szenen, in denen es darum geht, die Leiche Pacos mit einer Selbstverständlichkeit verschwinden zu lassen, als ob es sich nur um eine Sache handle, die man los werden wolle. Mit einer grenzenlosen Gelassenheit säubert Raimunda ihre Küche vom Blut Pacos und verfrachtet ihn in die Kühltruhe des Nachbarn, nicht ohne diese in Gang zu setzen – aus verständlichen hygienischen Gründen.

Die Lüge ist ein weiteres zentrales Element des Films. Raimunda und ihre Tochter verheimlichen den Tod Pacos, Sole verheimlicht die Anwesenheit der Mutter, die Mutter verheimlicht ein zentrales Ereignis ihrer Vergangenheit und Raimunda verheimlicht ihrer Tochter, dass Paco nicht ihr wirklicher Vater war. Aber diese Lügen sind im Grunde nur Ausdruck individueller Schutzmechanismen der einzelnen Akteure. Sie kreisen um ein zentrales Geheimnis, ein Verbrechen, das die Frauen – jede auf ihre Weise – dazu gezwungen hat zu lügen, zu verheimlichen. Und dieses Geheimnis ist auch für das grundlegende Verhältnis aller Frauen zum männlichen Geschlecht verantwortlich.

Dass Almodóvar eine tragische Geschichte in Form einer dramatischen Komödie inszeniert hat, ist ein Grund dafür, warum sich die Zuschauer auf das Wesentliche der Geschichte konzentrieren können. Die Komik ist u.a., die verhindert, dass man den Tod Pacos – so schrecklich er auch sein mag – als das wirklich Ernsthafte dieser Geschichte nimmt. Das Wesentliche ist die Genese der Handlung, die ihren Ausgangspunkt im machismo, im Verhältnis der Männer der Region zu den Frauen hat. Den anderen Grund für das Publikum, sich auf diesen Kernpunkt alles Gezeigten zu konzentrieren, ist Raimunda bzw. Penélope Cruz als Inbegriff des Erotischen, Weiblichen, aber – wie gesagt – eben nicht im Sinne einer platten Provokation sexueller Begierde. Wenn Raimunda bei einer Feier im Restaurant singt (Estrella Morente singt wirklich), vom Heimkehren, vom Zurückkehren, dann kommt in der Erotik der Singenden und des Gesungenen die erwähnte und für Almodóvar zentrale, spezielle Solidarität der Frauen, die auch etwas Erotisches hat, als Gegenbild des machismo zum Tragen. Und insofern ist „Volver” eben vor allem (auch) ein Film für Männer, weil er Männern etwas Wesentliches zeigt.

Die gelebte Solidarität aller Frauen im Film erhebt sich vor dem Hintergrund des tragischen Geschehens in der Gegenwart wie in der Vergangenheit zu einer Art Muster oder Vorbild, wie Menschen miteinander umgehen sollten. Die Frauen meistern die Tragik ihres Lebens, sie weichen ihr – trotz der Lügen – nicht aus, bis sich der Knoten des Tragischen löst. Beispiele dafür bietet der Film mehr als genug. Als Raimunda mit Hilfe zweier Nachbarinnen die Leiche Pacos schließlich mit dem Lieferwagen wegschafft, begräbt sie ihn in der Kühltruhe an dem Ort, an dem sich Paco so gern aufgehalten hat und schnitzt eine Art „Grabinschrift” in einen dort stehenden Baum. Sie hegt gegen Paco keinen Groll. Ihr Handeln ist nicht von Rache, Hass, Neid oder ähnlichem bestimmt. Das gleiche gilt für alle anderen Frauen. Irene, die nicht nur Tante Paula gepflegt hatte, sondern auch ihrer Tochter Sole hilft, pflegt zum Schluss die krebskranke Agustina, die vor ihrem Tod eigentlich nur noch eines wissen will: wo ihre Mutter geblieben ist.

Man kann insgesamt – trotz der manches Mal sarkastischen, aber vor allem erleichternden Komik des Films – sagen, dass das Handeln, Denken und Fühlen der Frauen von einer unglaublichen Kraft bestimmt ist, mit der Tragik ihres Lebens zurecht zu kommen, mit ihr zu leben, ohne von ihr abhängig zu sein oder um sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Die Frauen drängen auf Klärung, die jüngeren wie die älteren, auch wenn es sie viel Kraft kostet. Der Film beinhaltet insofern meinem Gefühl nach eine Hoffnung, die Hoffnung, Männer könnten sich nur ein bisschen in die Richtung bewegen, wie sich Frauen in diesem Geschehen des Films verhalten. Diese Hoffnung allerdings ist keine, die sich in illusorischen Phantastereien ergeht. „Volver” enthält in aller Deutlichkeit eben auch ein starkes Element des Zweifels, den das Ursprungsereignis, das Familiengeheimnis, von dem alle fünf Hauptpersonen direkt oder indirekt betroffen sind, eben deshalb nährt, weil es sich im Film wiederholt hat.

Der Film endet eben nicht – wie sollte es bei Almodóvar auch anders sein – mit einem irgendwie gearteten Happyend, sondern mit eindeutigen Fragen. Und die betreffen Frauen, aber eben vor allem auch Männer. Ohne zu viel verraten zu wollen, sind diese Fragen: Wird das Leben der Tochter Paula in ähnlichen Bahnen ablaufen wie das ihrer Mutter? Wird Agustina vor ihrem Tod erfahren, was mit ihrer Mutter geschehen ist, oder ist es besser, ihr dies nicht zu sagen? Wie kann Irene mit dem Vergangenen weiter leben? Kann Raimunda es verantworten, ihrer Tochter von ihrer Herkunft zu erzählen? Hat Paula ein Recht darauf, es zu erfahren, wie ihre Mutter es ihr versprochen hat?

Es ist für mich eindeutig, dass Almodóvar diese Fragen stellt, in der sanften, zur tiefen Solidarität der Frauen im Film passenden, aber eben auch unmissverständlichen Weise, wie er dies immer tut. „Volver” ist kein Erziehungsfilm im klassischen Sinn, er ist keiner dieser belehrenden Zeigefinger-Streifen mit irgendeiner pädagogisch-flachen Absicht. Aber er ist unmissverständlich im Gezeigten, in den Bildern der Solidarität wie der Tragik. Er fragt nach der Zukunft, wie sie aussehen sollte oder könnte, und wie dies mit der Vergangenheit zusammenhängt. Er fragt nach Zusammenhang.

Die Verortung des Menschen in irgendeiner Form von nicht idyllisch oder ideologisch verblendeter Heimat, in einer Heimat, in der das Innere und Äußere identisch sind, einer Heimat des Wohlbefindens, der Geborgenheit und der Liebe setzt voraus, dass sich bei den Männern etwas ändert, die im Film nur personelle Randerscheinungen, in der erzählten Geschichte selbst aber Hauptfiguren sind – Täter, ja, aber nicht in dem verengten Sinne dieses Begriffs, sondern in der ganzen Wucht der Tradition der La Mancha, die in so vielen Filmen Almodóvars Ausgangspunkt des Erzählten ist. „Volver” ist ein Film, der sich der Bemächtigung von Menschen durch Menschen widersetzt, aber eben nicht in einer frontalen Art, sondern in der genannten solidarischen Form – in Bildern, Dialogen und in der Handlung.

Es ist nicht nur die Solidarität der gespielten Frauenrollen, es ist auch die spürbare Solidarität der Schauspielerinnen selbst, die den Film zu einem Genuss macht. Das gilt besonders für Penélope Cruz, es gilt für die lange Jahre mit Almodóvar zerstrittene und nun zurückgekehrte Carmen Maura, diese großartige spanische Schauspielerin, und es gilt auch für Lola Dueñas, Blanca Portillo und die junge Yohana Cobo. Dass Almodóvar mit teilweise prallen Farben (bis in den Abspann) und der phantastischen Musik des schon in früheren Filmen beschäftigten Alberto Iglesias arbeitet, muss erwähnt werden, weil beides zu diesem Film gehört, zum Lebendigen des Geschehens, zur Vitalität der Frauen.

© Bilder: El Deseo S.A.