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Wall Street (Wall Street) USA 1987, 125 Minuten Regie: Oliver Stone
Drehbuch: Stanley Weiser, Oliver Stone Musik: Stewart Copeland Director of Photography: Robert Richardson Montage: Claire Simpson Produktionsdesign: Stephen Hendrickson
Darsteller: Charlie Sheen (Bud Fox), Michael Douglas (Gordon Gekko), Daryl Hannah (Darien Taylor), Terence Stamp (Sir Larry Wildman), Tamara Tunie (Carolyn), Martin Sheen (Carl Fox), Sean Young (Kate Gekko), Franklin Cover (Dan), Chuck Pfeiffer (Chuckie), John C. McGinley (Marvin), Hal Holbrook (Lou Mannheim), James Karen (Lynch), Leslie Lyles (Natalie), Faith Geer (Natalies Assistentin), Frank Adonis (Charlie), John Capodice (Dominick)
Spiele ...
Manche meinen, das magische Dreieck Geld – Macht – Erotik regiere unsere Welt. Man kann sich darunter einiges und verschiedenes vorstellen. Zum Beispiel auch, dass die Komponenten dieses Dreiecks weniger drei eigenständige Faktoren sind, als dass sie einen symbiotischen Kontext bilden, in dem Existenz und Funktionalität jeder Komponente von den anderen abhängt. Ab einem bestimmten Punkt ist Geld nicht mehr (und nicht weniger) als eine solide Basis für ein neurotisches Spiel. Dieses Spiel hat den Namen „Um-alles-siegen-wollen“. Nicht umsonst heißt der Gambler in Oliver Stones „Wall Street“ Gekko, vergleichbar eben mit der Echse, die auf Opfer lauert und blitzschnell reagieren kann, wenn Gefahr im Verzug ist oder das Risiko so groß, der Einsatz nicht lohnt, um zu siegen.
Gekko (Michael Douglas) ist ein Gambler im Großmaßstab, ein skrupelloser Spekulant, der alles, was es für Geld zu kaufen gibt, besitzt oder besitzen könnte. Sein Lebensinhalt – von Ziel kann man hier nicht sprechen – besteht in diesem Siegen-Wollen, das bei Gekko schon ein Siegen-Müssen bedeutet. Darin besteht das Neurotische seines Handeln, Denkens und Fühlens. Das Geld ist einerseits die Basis seiner neurotischen Triebhaftigkeit, andererseits der Stachel, um Siege zu erringen. Gekko ist ein Spielsüchtiger, vergleichbar mit Menschen, die ganz anderen Süchten nachhängen. Würde er eins ums andere verlieren, wäre dies entweder sein Tod oder ein Sturz in die psychischen Abgründe, von dem er sich nur schwer erholen könnte. Macht ist ihm nur ein Instrument in diesem Spiel, Erotik die Triebfeder seines Handelns. Der Sieg verschafft ihm Befriedigung. Wie bei einem putzsüchtigen Menschen, der es nicht ertragen kann, dass die Fensterbank auch nur im Verdacht steht, schmutzig zu sein, oder der bei jedem Anfassen der Türklinke durch sich oder andere Sagrotan zum Einsatz bringt, muss Gekko nicht nur einmal, zweimal, dreimal siegen; der Sieg ist eine ständige Provokation, ein permanenter Zwang, der sein Leben völlig ausfüllt. Gekko geht keinen Weg, um ein Ziel zu erreichen. Seine Zwanghaftigkeit kennt keine kausalen Zusammenhänge. Sie ist permanenter Lebensinhalt, ein Kreislauf, eine Art Strudel, in den er alles und alle um sich herum hineinreißt.
Der junge Broker Bud Fox (Charlie Sheen) dagegen ist eher ein Träumer. Er träumt von seiner Karriere, will nicht nur Broker sein, sondern am großen Kuchen teilhaben, Erfolg haben, vielleicht auch Reichtum. Sein Handeln resultiert eher aus seiner Herkunft als Sohn eines Fabrikarbeiters. Carl Fox (Martin Sheen) ist ein grundanständiger Mensch, einer, der sich für andere einsetzt, ein Gewerkschafter, der Angst um die Existenz der Fluggesellschaft hat, bei der er als Mechaniker arbeitet. Carl wollte, dass sein Sohn einmal „etwas besseres“ aus seinem Leben macht als er. Bud studierte und will etwas besseres werden. Aber er hat seinen Vater und seine Herkunft nicht vergessen. Gekko ist Buds großes Vorbild. Er verkennt von Anfang an, um welche Sorte von Mensch es sich bei Gekko handelt. Er vermutet, Gekko habe sich auf (mehr oder weniger) ehrliche Weise nach oben gearbeitet.
Zu Gekkos Geburtstag taucht Bud in dessen Büro mit einer Schachtel Zigarren auf. Bud will in den Kreis von Gekko aufgenommen werden, will lernen, wie man Geld macht. Mehr als einen Monat hatte er versucht, einen Termin bei Gekko zu bekommen. Jetzt steht er vor ihm. Und Gekko weiß, wie er jemanden für sich einspannen kann. Er verlangt von Bud etwas Besonderes, einen Deal, eine Information, die wirklich Überdurchschnittliches verspricht. Er spannt Bud ein. Und entweder Bud spurt, liefert etwas, an dem Gekko sein Spiel genießen kann, oder er fällt gnadenlos auf seine Rolle als kleiner Broker zurück.
Auch hier wieder Erotik. Die Aussicht auf eine überdurchschnittliche Karriere lässt Bud in die Arme des skrupellosen Gekko fallen. Er gibt sich ihm ganz und gar, mit Haut und Haaren hin. Gekko weiß genau, was er tut und war er zu machen hat. Er unterstützt diese Verführung, die Anziehung des Geldes und des Spiels mit ihm, in dem er Bud die Innenarchitektin Darien Taylor (Daryl Hannah) im wahrsten Sinn des Wortes „zuführt“. Gekko sieht in den Augen von Bud, diesem gierigen kleinen Jungen, wie er ihn anzupacken hat. Nichts wird er bei dieser Spekulation verlieren, keinen müden Dollar. Und offensichtlich funktioniert diese Spekulation hervorragend. Denn Bud weiß von seinem Vater, dass sich die Fluggesellschaft, bei der Carl arbeitet, in Schwierigkeiten befindet und finanzielle Transaktionen und Spekulationen im Gang sind. Geldhaie, Aasgeier sind unterwegs. Und die Insider-Informationen, die Bud von seinem Vater erhält, könnten für Gekko eine Spekulation wert sein. Als Broker darf Bud solche Informationen nicht verwenden. Dass er es dennoch tut, scheint der erste Schritt auf dem Weg in die Skrupellosigkeit des Spiels, wie Gekko es organisiert.
Womit Bud allerdings nicht gerechnet hat, ist, dass Gekko bereit ist, über Leichen zu gehen – auch und vor allem über die von Carl Fox und seinen Kollegen. Als Bud dies erkennt, steht er am Scheideweg und muss sich entscheiden ...
Oliver Stone ist bekannt für seine „klare Linie“. Ob in „Nixon“ (1995) oder „JFK“ (1991), „Talk Radio“ (1998) oder selbst seinem Kriegsfilm „Platoon“ (1986) – Stone kommt schnell „zur Sache“. Das hat ihm zum Beispiel den Vorwurf, Anhänger von Verschwörungstheorien zu sein, eingebracht. Auch in „Wall Street“ kommt Stone schnell auf den Punkt. Der harschen und unverblümten Kritik, nicht allein an einer – von Michael Douglas exzellent verkörperten – Figur wie Gordon Gekko, sondern am Finanz- und Börsensystem selbst steht die unausgesprochene, aber ebenso deutliche Sympathie für Leute wie Buds Vater gegenüber. Trotzdem ist Stone kein Ideologe, der in flachem Klassenkampfdenken inszeniert. Stone ist Moralist. Und „Wall Street“ – mag die Geschichte auch erfunden sein – vermittelt einiges über die Atmosphäre eines Systems, in dem Moral und Mitgefühl Fremdwörter zu sein scheinen und Gekko nur die Spitze eines Eisbergs bildet.
Trotz aller Plastizität der Darstellung wirken die Figuren nicht als Aushängeschilder, als Marionetten in einem Spiel, das von Regie und Drehbuch vorgeschrieben ist, sondern als durchaus vorstellbare Personen, mit denen man sich – positiv oder negativ – identifizieren kann.
Alles in allem – auch in der Rückschau – ein spannender, realistischer und durchaus aktueller Film über die Gepflogenheiten eines Systems, dem heute noch mehr Bedeutung zukommt als vor Jahren.
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